Grenzgänger – quo vadis
Boris Ziegler

Nahezu jeder Grenzgänger hat in jüngster Zeit Kommentare kassiert zu seinem plötzlichen Lohnzuwachs aufgrund des Entscheids der SNB anstatt des fixierten Wechselkurses von CHF 1.20 zum Euro nunmehr einen neuen stabilen Wechselkurs (derzeit bei ca. CHF 1.07) zu etablieren. Hierbei handelt sich um einen Wechselkurszuschlag von 12% zum Einkommen welcher jedoch zu bis zu 50% in die Kassa des BMF in Wien fliessen wird. De facto ergibt sich also lediglich ein Gewinn von ca. 6% für die Grenzgänger beim Umtausch ihres Gehalts. Angesichts der Tatsache dass Grenzgänger ansonsten oft generell leicht unterbezahlt wurden also kein Grund für akute Neidreflexe. Kommt hinzu, dass Schweizer wie Liechtensteiner bei Einkäufen im nahen Österreich und Deutschland die Mehrwertsteuer auf ihren Einkauf zurückerstattet bekommen. Hiervon kann man als Vorarlberger Grenzgänger nur träumen. So wohnen die privaten Profiteure des aktuellen Geschehens auch jenseits des Rheins und stimmen beim wöchentlichen Einkauf mit dem Lenkrad ab.

Die aktuellen Sorgen jedoch einen Grenzgänger, Schweizer und Liechtensteiner gleichermassen. Die derzeitige Misere trifft vor allem Betriebe, welche hohe Personalkosten und einen starken Kundenkreis im Eurogebiet ihr eigen nennen. Infolge nicht getätigter Währungsabsicherung – das Versprechen der SNB liess dies unnötig erscheinen – schlug der nun volatile Eurokurs sofort auf die Erfolgsrechnungen durch und lässt viele Firmen grübeln, welche Zukunftsaussichten sie ihren Aktionären / Gläubigern bei der jährlichen Bilanzlegung präsentieren sollen. Was liegt näher als mit einer sofortigen Kostenreduktion zu punkten. Um jedoch an Prozesse heranzugehen und zu rationalisieren braucht man Zeit und Investitionen. Beides sind aktuell rare Erscheinungen in der Schweizer Wirtschaft. Eine weitere Möglichkeit stellt die Umstellung von Lieferanten auf die Bezahlung in Euro dar. Dies hatte man jedoch schon bei der letzten Wechselkurskrise ausgereizt und verschiebt somit, so es Schweizer Zulieferer trifft, die Misere nur zum nächstschwächeren Glied mit der geringeren Wertschöpfung. So sind es auch genau solche Betriebe, welche sich gezwungen sehen sofort die Personalkosten zurückzufahren.

Leider kommen bei derart notleidenden Betrieben dann teils brachial wirkende Methoden und haarsträubende Argumentationen zum Einsatz. Die Sozialpartnerschaft – einer der wichtigsten Standortvorteile der Schweiz – wird hierbei bewusst über Bord geworfen. So dann zeitgleich ausländische Aktionäre nach einer höheren Frankendividende auf ihr investiertes Geld pochen, kommt einem der Halbsatz „nach mir die Sintflut“ in Erinnerung. Unternehmen welche sich mehrheitlich im Familienbesitz befinden bestechen in diesem Umfeld zumeist durch ihre weitsichtige Herangehensweise, welche eben nicht von kurzfristiger pekuniärer Panik beseelt ist.

Ein Basler Betrieb aus der Medizinaltechnik war besonders naiv ehrlich und äusserte in der Nachrichtensendung 10vor10 des Schweizer Fernsehens das Bestreben den Grenzgängern „freiwillig“ einen geringeren Lohn in Euro zu bezahlen zu einem fixierten Wechselkurs. Man sprach im Interview ehrlicherweise vom dann sicher vorhandenen Gruppendruck auf die zuvor angesprochene „Freiwilligkeit“ der Grenzgänger. Ob bei der „Gruppe“ an eine Abordnung der Geschäftsleitung oder an die Schweizer Kollegen gedacht war wurde im Interview wohlweisslich nicht nachgefragt. Wenige Tage und ein Ultimatum der UNIA Nordwestschweiz später war die Idee vom Tisch und das Kommunikationsdesaster perfekt. Nicht nur dass die Grenzgänger sich geschlossen solidarisch zeigten, die Schweizer Belegschaft tat es auch. Man roch den Braten dass ein Lohndumping ein Vorgeschmack auf Lohnreduktion aller Beschäftigten wäre und dass ein Betrieb unter solchen Umständen nur noch Grenzgänger einstellen wird, so denn diese pauschal um ca. 20% günstiger kämen. Unterdessen haben sich dort in einer Abstimmung 96% der Belegschaft bei einer Beteiligung von 93% für 5% Lohnreduktion für alle Mitarbeitenden ausgesprochen. Kader verlieren noch mehr Salär und Boni.

Es war dieser Basler Firma wohlbekannt dass eine diesbezügliche Änderungskündigung von Grenzgängern welche den Eurolohn verweigern vom Gericht als Rachekündigung gesehen würde, wie dies ja bereits für eine Firma in Dornach/SO vom Kantonsgericht Basel-Land im Jahr 2012 geurteilt wurde. Dies wurde vom Bundesgericht in Lausanne 2013 bestätigt. Während dies in der Romandie allgemein als gesetzt gilt bemühen sich doch einige Betriebe in der Deutschschweiz diesen juristischen Sachverhalt geflissentlich zu übersehen.

Der neueste Clou ist es eine Betriebsschliessung den Grenzgängern in die Schuhe zu schieben, da diese kein Lohndumping mittels Eurolohn akzeptiert hätten. So geschehen bei einer Waggonfabrik im Tessin. Bleibt zu hoffen dass die Tessiner nicht derart abgestumpft sind um auf eine solchermassen perfide Gangart hereinzufallen. Man versucht sich hier unternehmerisch aus der Verantwortung zu stehlen und den bösen Grenzgängern ein Schild um den Hals zu hängen. Das Problem des Tessins ist, dass politisch das Lohndumping durch Grenzgänger seitens der Politik gefördert wurde um italienische Betriebe in die strukturschwache Region zu locken. Solange hiermit nur sozial schwache Schweizer benachteiligt wurden hat man dies akzeptiert. Nun jedoch trifft es auch gut ausgebildete Tessiner und damit ist der strukturelle Schaden perfekt und die Deflationsspirale dreht sich im Schweizer Süden rasant. Dies soll sich in der Deutschschweiz und Liechtenstein nicht wiederholen. Es steht zu hoffen dass aus den Fehlern im Tessin gelernt wird – subito.

 

Ähnliche Beiträge

AHV in der Schweiz 13x

Die Abstimmung zur 13. Zahlung (zusätzlich!) der AHV in der Schweiz ging mit 58,24% positiv aus (Volksmehr) bei einer...